Die „24-stündige Verfügbarkeit“ im OPS ist ein standort- und zeitbezogenes Strukturmerkmal. Sie verlangt, dass die jeweilige Leistung jederzeit ohne sicherheitsrelevanten Zeitverzug am Standort durchgeführt werden kann. Eine bloße Ruf- oder Televerfügbarkeit genügt nicht, sofern der OPS keine entsprechende Öffnungsklausel enthält. Gerichte (insbesondere das BSG) sehen Kooperationen oder Rufdienste ohne OPS-Ermächtigung als unzureichend an.
Hintergrund und Problematik
Der OPS 2025 weist 8 OPS mit dem Strukturmerkmal „24-stündige Verfügbarkeit“ aus: 8-718.8; 8-718.9; 8-981; 8-981.3; 8-988; 8-98b; 8-98d; 8-98f. Bei diesen Strukturmerkmalen handelt es sich um medizinische Verfahren.
Vor dem Hintergrund der ständigen BSG-Rechtsprechung, nach der man sich eng am Wortlaut zu halten habe, stellt sich die Frage, was mit dem Wortlaut gemeint sein könnte:
Was bedeutet eine 24-stündige Verfügbarkeit? Muss das Personal am Patienten, im Raum, am Gerät durchgehend verfügbar sein? Reichen alternativ Rufdienst oder Bereitschaftsdienst? Wo am Standort muss sich das Personal aufhalten? Reichen die 2 km der Standortdefinition? Ist die Frage der Verfügbarkeit einheitlich zu beantworten oder muss je nach OPS der medizinische Hintergrund berücksichtigt werden?
Systematische Einordnung
Die „24-stündige Verfügbarkeit“ gehört zu den strukturbezogenen Qualitätsmerkmalen, die den kontinuierlichen Betrieb einer Leistungseinheit garantieren sollen. Rechtlich basiert die Prüfung auf:
- § 109 Abs. 3 SGB V – Krankenhauszulassung am konkreten Standort
- § 275d Abs. 1 SGB V – Prüfung der Strukturmerkmale durch den Medizinischen Dienst
Damit ist der Prüfgegenstand der zugelassene Standort, nicht das Krankenhaus als Trägerorganisation.
Das Merkmal „24-stündige Verfügbarkeit“ zielt nicht auf Anwesenheit, sondern auf dauerhafte Funktionsfähigkeit ohne Zeitverzug – eine organisatorisch abgesicherte „Betriebsbereitschaft“ für die betreffende Leistung.
Semantische und funktionale Abgrenzung
Es ist unstrittig, dass die Leistung am Standort erfolgen soll, lediglich der zeitliche Zugriff variiert. Entscheidend ist also nicht, wo, sondern wann die Ressource am Standort wirksam wird.
| Begriff | Semantischer Kern | Bezugsebene | Konsequenz |
| Anwesenheit | physische Präsenz am Ort der Leistung | Raumbezogen | keine Zeitverzögerung möglich |
| Verfügbarkeit | Fähigkeit, jederzeit funktionsfähig zu sein | Funktionsbezogen | erfordert rechtzeitige Aktivierung |
| Erreichbarkeit | Möglichkeit der Kontaktaufnahme | Kommunikationsbezogen | keine Handlungsmöglichkeit garantiert |
| Einsatzbereitschaft | Bereitschaft, Leistung auf Abruf zu erbringen | Handlungsbezogen | erlaubt begrenzten Zeitverzug |
„Verfügbarkeit“ ist ein potentieller Zustand – sie verlangt nicht permanente Präsenz, sondern die Gewähr, dass eine Leistung ohne sicherheitsrelevante Verzögerung am Standort durchgeführt werden kann.
OPS-Systematik und Begriffsdifferenzierung
Der OPS verwendet mehrere zeitliche Qualifizierungen:
| Begriff | Bedeutung/Bezug | Zeitliche Dimension | Typische OPS-Verwendung |
| Ständige Anwesenheit | Personal dauerhaft physisch vor Ort / Person | keine Verzögerung | 8-980, 8-98f |
| 24-stündige Verfügbarkeit | Leistung rund um die Uhr funktionsfähig / Verfahren, Organisation | minimale Verzögerung zulässig, wenn belegt | 8-98f, 8-981 |
| Rufbereitschaft, Hintergrunddienste | Reaktionszeit definiert, Leistung auf Abruf / Ausnahme | zulässig nur bei OPS-Hinweis | 8-98e |
| Tägliche/werktägliche Verfügbarkeit | Leistung nur zu Kernzeiten / Organisation | planbare Leistungen | 8-55x etc. |
Der OPS 8-98f („Aufwendige intensivmedizinische Komplexbehandlung“) zeigt diese Abgrenzung exemplarisch: Er verwendet mehrere Zeitbegriffe gleichzeitig („ständige ärztliche Anwesenheit“, „24-h-Verfügbarkeit von Verfahren“, „Rufbereitschaft der Behandlungsleitung“). Gerade diese Systematik verdeutlicht, dass „24-h-Verfügbarkeit“ eine mittlere Stufe zwischen permanenter Präsenz und bloßer Rufbereitschaft darstellt. Diese Stufe repräsentiert die dauerhafte Funktionsfähigkeit eines Systems oder Personals, nicht zwingend dessen permanente physische Präsenz.
Leitlinien der Rechtsprechung (hierarchisch gewichtet)
Das Bundessozialgericht fordert eine wortlautgetreue, standortbezogene Prüfung der Strukturmerkmale. Die Urteile begrenzen Interpretationen über den Wortlaut hinaus, schließen aber zeitliche Funktionsinterpretationen nicht aus. Eine „24-stündige Verfügbarkeit“ ist daher am Standort zu gewährleisten, wobei die OPS-Systematik die zulässigen Formen der Organisation vorgibt.
- BSG, Beschluss vom 02.04.2025 – B 1 KR 9/24 B: Kooperationen oder Rufmodelle reichen nicht, wenn der OPS die 24-h-Verfügbarkeit „im eigenen Klinikum“ fordert. Die Leistung muss organisatorisch so eingebettet sein, dass sie am Standort selbst jederzeit durchführbar ist.
- BSG, Urteil vom 25.06.2024 – B 1 KR 20/23 R (Behandlungsleitung): Rufbereitschaft ist nur zulässig, wenn der OPS dies ausdrücklich vorsieht (z. B. „fachliche Behandlungsleitung kann durch Rufbereitschaft gewährleistet werden“). Für reine „24-h-Verfügbarkeiten“ ohne Zusatz ist sie nicht ausreichend.
- LSG Hessen, Urteil vom 30.01.2020 – L 8 KR 37/19: 24-h-Verfügbarkeit verlangt eine Leistung ohne vermeidbaren, medizinisch relevanten Zeitverzug am Standort; Kooperationen oder Rufsysteme sind unzulässig, wenn sie Zeitverzug verursachen.
- LSG Hessen, Urteil vom 25.02.2021 – L 8 KR 722/18: OPS-Merkmal muss „im eigenen Haus“ erfüllt werden; externe Partner zählen nicht als standortbezogen.
- SG München, Urteil vom 02.05.2023 – S 7 KR 1032/22: 24-h-Verfügbarkeit umfasst technische, organisatorische und personelle Komponenten.
- SG Regensburg, Urteil vom 21.09.2023 – S 2 KR 144/22: Abgrenzung verschiedener Zeitbegriffe im OPS; 24-h-Verfügbarkeit liegt zwischen Anwesenheit und Rufbereitschaft.
Zeitlich-funktionale Staffelung (nach Rechtsprechung gewichtet)
| Kategorie | Beschreibung | Bewertung In Bezug auf die 24-stündige Verfügbarkeit |
| A. Ständige Anwesenheit | Fachpersonal dauerhaft am Patienten / in Einheit | vollständige Erfüllung |
| B. Bereitschaftsdienst im Krankenhaus | Personal im Haus, kurzfristig verfügbar | regelmäßig ausreichend |
| C. Rufdienst mit klar definierter Eintreffzeit | nur zulässig, wenn OPS „Rufbereitschaft“ ausdrücklich nennt | nur bei OPS-Öffnungsklausel |
| D. Kooperation oder externe Rufbereitschaft | Leistung nicht unmittelbar am Standort | unzulässig bei bloßer 24-h-Verfügbarkeit |
| E. Telefonische / telemedizinische Erreichbarkeit | keine physische Durchführung am Standort | keine Erfüllung des Merkmals |
Medizinisch-organisatorische Interpretation
Die Gerichte stellen nicht auf die Arbeitszeit des Arztes, sondern auf die Funktionsfähigkeit des Systems ab. Ein Krankenhaus erfüllt das Merkmal, wenn es nachweisen kann, dass:
- die benötigte Infrastruktur (Geräte, Personal, Räume) dauerhaft betriebsbereit ist,
- das verantwortliche Personal innerhalb klinisch akzeptabler Zeit handlungsfähig am Patienten ist,
- keine Abhängigkeit von externen Strukturen besteht, die Zeitverzug verursachen könnten.
Fazit und Handlungsempfehlung
Für Krankenhäuser:
- Jede OPS-Leistung mit „24-stündiger Verfügbarkeit“ muss intern so organisiert sein, dass sie ohne Zeitverzug am Standort erbracht werden kann.
- Rufdienste erfüllen das Merkmal nur, wenn der OPS sie ausdrücklich nennt; ein medizinisch vertretbarer Zeitverzug ist nur in diesem Fall zulässig.
- Eine bloße telefonische oder telemedizinische Verfügbarkeit ohne ausdrückliche OPS-Ermächtigung genügt in keinem Fall.
- Kooperationslösungen sind unzulässig, wenn der OPS „im eigenen Klinikum“ verlangt.
- Kooperationslösungen sind zulässig, wenn die Leistung am Standort erbracht wird und die Partnerleistung räumlich und organisatorisch integriert am Krankenhausstandort erbracht wird (z. B. Radiologie, Labor).
- Nachweise: Dienstpläne, Eskalationswege, technische Betriebsbereitschaft dokumentieren.
Für den Medizinischen Dienst:
- Prüfung, ob die Leistung zeitgerecht am Standort erbracht werden kann.
- Maßgeblich ist die tatsächliche Handlungsfähigkeit, nicht die Absicht.
- Fehlt eine OPS-Öffnung für Rufdienste, ist die 24-h-Verfügbarkeit nur bei permanenter Anwesenheit oder im Haus (Bereitschaft im Krankenhaus) erfüllt.
- Zur Verfügbarkeit eines Verfahrens gehört neben dem hierfür erforderlichen Personal auch eine funktionsfähige Geräteausstattung. Nach der LOPS-Richtlinie 2025 (§ 5 Abs. 6) verzichtet der Medizinische Dienst auf eine technische Prüfung oder den Nachweis der Betriebsbereitschaft. Die Richtlinie verfolgt ausdrücklich das Ziel, unnötige Bürokratie zu vermeiden, indem sie auf vorhandene Betreiberpflichten nach MPBetreibV abstellt. Die technische Betriebsbereitschaft fällt weiterhin in die Betreiberverantwortung nach MPBetreibV; sie wird nicht Gegenstand der MD-Strukturprüfung.
Gesamtbewertung
Die „24-stündige Verfügbarkeit“ ist kein Synonym für ständige Anwesenheit, sondern Ausdruck einer dauerhaften Funktionsfähigkeit der Leistungseinheit am Standort. Das bedeutet: kontinuierliche, standortgebundene Handlungsfähigkeit ohne nennenswerte Verzögerung.
Entscheidend ist, dass die geforderte Leistung jederzeit zeitgerecht und patientensicher erbracht werden kann. Bereitschaftsdienste sind zulässig, wenn sie organisatorisch abgesichert und medizinisch vertretbar sind. Diese Auslegung berücksichtigt die Semantik des Begriffs, die Systematik der §§ 109 und 275d SGB V sowie die ständige BSG-Rechtsprechung zur standortbezogenen Leistungsfähigkeit. Die Rechtsprechung (BSG 2024/2025) bestätigt: Ruf- oder Kooperationsmodelle sind nur dann zulässig, wenn der OPS dies ausdrücklich vorsieht.
Anlage: Übersicht relevanter Urteile zur 24-stündigen Verfügbarkeit
- BSG, Beschl. v. 02.04.2025 – B 1 KR 9/24 B – Kooperationen und Rufmodelle nicht ausreichend, wenn OPS „im eigenen Klinikum“ fordert.
- BSG, Urt. v. 25.06.2024 – B 1 KR 20/23 R – Rufbereitschaft zulässig nur bei ausdrücklicher OPS-Ermächtigung.
- LSG Hessen, Urt. v. 30.01.2020 – L 8 KR 37/19 – 24-h-Verfügbarkeit verlangt eine Leistung ohne vermeidbaren, medizinisch relevanten Zeitverzug am Standort.
- LSG Hessen, Urt. v. 25.02.2021 – L 8 KR 722/18 – OPS-Merkmal muss „im eigenen Haus“ erfüllt werden.
- SG München, Urt. v. 02.05.2023 – S 7 KR 1032/22 – 24-h-Verfügbarkeit umfasst technische, organisatorische und personelle Komponenten.
- SG Regensburg, Urt. v. 21.09.2023 – S 2 KR 144/22 – Abgrenzung der OPS-Zeitbegriffe.